3. März 2014

Bergfest

Nun sind es schon 1,5 Jahre und 2 Tage Altenpflegeausbildung. 1,5 Jahre in denen ich sehr sehr viel beobachtet, gelernt, gesehen, erlebt, erfahren und geübt habe. Und es sind auch 1,5 Jahre Roßwein, was hier aber nebensächlich sein soll. Und es sind 1,5 Jahre in denen ich "ganz logisch" die typischen Vorurteile über Pflege, Pflegezustände und ähnliches gehört habe. Hier möchte ich zeigen, was diese Ausbildung für mich bedeutet.
Altenpflege ist definitiv mehr als "satt, sauber, trocken." Altenpflege bedeutet zunächst einmal eines: Menschlichkeit, Empathie, Hilfsbereitschaft, Sozialkompetenz, Fachkompetenz, Teamfähigkeit, Flexibilität, psychische Bewältigungsstrategien, der Umgang mit Leben und Tod, Kommunikation, Beobachtung, Offenheit, Humor, ... Diese Liste könnte man sicherlich ewig weiter füllen, dies sind die Wörter, die mir im Moment spontan einfallen.
Altenpflegeausbildung bedeutet für mich mehrere Wochen Unterricht und mehrere Wochen Praxis. Da ich in der Praxis 40 Stunden in der Woche leisten sollte (Prüfungszulassung), dies aber oft nicht schaffe (ambulanter Pflegedienst) gehe ich jedes zweite Wochenende in der Schulzeit an mindestens einem Tag arbeiten. In der Schule habe ich 12 so genannte Lernfelder (LF), welche auch nochmal in Themenschwerpunkte unterteilt sind. Ich habe aber auch die Fächer Deutsch, Englisch und Ethik & einige Wahlpflichtfächer (z.B. Musiktherapie). Ich lerne in der Schule alle theoretischen Dinge, die wir aber teilweise auch praktisch in der Schule üben. An Pflegepuppen, an den Klassenkameraden, am Herd, ... Es finden sich einige Möglichkeiten um zu Üben.
 Wir lernen die Anatomie des Menschen kennen, damit Leber, Milz, Magen und Gehirn von der Lage nicht verwechseln, sonst rutscht das Hirn noch in den Oberbauch. Wir lernen die Aufgaben und Funktionsweisen von Knochen, Muskeln, Nervensystem, Organen, ... kennen. Wir lernen die Grundlagen der Krankheitslehre kennen, was bedeutet, dass wir über Immunsystem, Infektionen, Entzündungszeichen, und vieles mehr bescheid wissen. Diese beiden Teile sind aber eigentlich nur die Grundlage um Krankheiten zu verstehen. Und allein die spezielle Krankheitslehre nimmt einen großen Platz in unseren Lerneinheiten ein. Wir lernen Arzneimittelformen und Medikamente kennen. Wir lernen wie man den Blutdruck und Puls misst. Wir lernen den Blutzucker zu messen und wir lernen die Injektionsarten kennen. Und wir lernen in der Theorie wie man Blut abnimmt. Leider dürfen wir dies nur dann auch am Patienten durchführen, wenn es ein Arzt abgenommen hat, dies ist aber in der Ausbildung nicht vorgesehen. Ich finde es etwas schade aber vielleicht ergibt sich mal die Möglichkeit, dass mir das ganze ein Arzt abnimmt!
Wir lernen außerdem die Gefahren für Patienten kennen, deren Vorbeugung und die möglichen Maßnahmen kennen. Begriffe wie Thrombose, Sturz, Aspiration, Kontrakturen, Dekubitus, Intertrigo, Soor und Parotitis sind für mich zum "Alltag" geworden und gehören für mich zu dem Wort Prophylaxe wie Socken zu Füßen.
Wir lernen aber auch viele Dinge über die "Beschäftigung" mit alten Menschen, denn auch sie wollen Aufgaben und Tätigkeiten, die ihren Möglichkeiten entsprechen. Wir kochen aber auch in der Schule, lernen vieles über Nahrungsmittel und Kostformen und worauf wir achten sollten.
Wir lernen Möglichkeiten Kinästethisch zu arbeiten, also für uns und den Patienten schonend.... Oh habe ich fast vergessen. Wir lernen auch ziemlich viel über Wunden und Wundversorgung, denn das ist auch unsere Aufgabe, wenn es der Arzt anordnet. Und wir lernen einige Stütz- und Kompressionsverbände kennen. Und wir erarbeiten auch die Biografien der Personen um auf sie bezogen zu handeln... 
Ach? Da schaut ihr etwas verdutzt, mh? Ja ich habe bisher nicht einmal erwähnt, was wir laut den Vorurteilen nur tun. Ja, wir wischen unseren Klienten auch, auf gut Deutsch gesagt, den Arsch ab, aber nur wenn sie es nicht mehr können. Wir helfen ihnen den Weg zur Toilette zu finden/zu meistern. Wir helfen ihnen trotz Rollstuhl den Weg zu finden und zu gehen, da es deutlich angenehmer ist sein Geschäft auf einer Toilette zu erledigen als in ein Inkontinenzmaterial (IKM). Und wir helfen immobilen Bewohnern, die sich selbst nicht/kaum bewegen können und ggf. "nur noch" im Bett liegen, in dem wir benanntes IKM wechseln. Wir helfen ihnen, dass sie regelmäßig Stuhlgang haben, da Verstopfung nicht nur schmerzhaft und unangenehm ist sondern auch Folgen haben kann. Wir helfen unseren Patienten bei der Körperpflege, da sie es nicht mehr so können, wie sie gern wöllten. Auch hierbei gilt der Grundsatz, dass wir nur dass tun, was der Patient nicht mehr kann. So lange sich meine Patientin ihren Oberkörper waschen kann, dann darf sie das auch & wenn ich dabei ihre Hand führe, sie kann dies ruhig tun, da es ihr gut tut. Wir bereiten auch Mahlzeiten oder decken einfach nur den Tisch, damit sie Essen können. Und wenn es für den Klienten nicht mehr selbstständig möglich ist, dann reichen wir ihm eben das Essen und Trinken.  Besonders dieser Part ist oft das, was viele mit meinem Traumberuf verbinden und der sie abstößt, den sie eklig finden. Glaubt mir, es gibt ekligere Sachen Als Kot und Urin.... Und wenn mich jemand fragt, wie ich es denn schaffe diese Dinge zu tun. Dann sage ich zwei Dinge: 1. habe ich immer Desinfektionsmittel und Einmalhandschuhe dabei. und 2. , und das ist für mich schon bedeutend wichtiger, frage ich sie dann gern: "Wenn du es nicht mehr könntest, würdest du dann gern in deiner Sch... schwimmen und stinken? Nein? Stell dir vor, dafür bin ich da. Und stell dir mal vor, die Menschen sind wahnsinnig Dankbar dafür."
Es gibt einen Part in diesem Beruf, der für mich schon deutlich schwieriger ist. Und das ist jener des Sterbens. Das Sterben gehört zum Leben dazu, dennoch vergisst man manchmal zu schnell, dass jeder einmal geht und es gerade bei meinen Patienten schneller gehen kann als man manchmal denkt. Aber selbst hierzu lernen wir Techniken und Methoden kennen. Wir lernen unsere Patienten auf den letzten Metern zu begleiten, wir lernen mit den Angehörigen umzugehen und ggf Trost zu spenden bzw. ein Gespräch. Erst in der letzten Woche ist der Ehemann einer Patientin verstorben (Ruhe er in Frieden..), da wir zu zweit unterwegs waren als wir den Ehemann auffanden (er lebte noch..) hat sich meine Kollegin um ihn und den Rettungswagen gekümmert und ich habe mich zu seiner Frau gesetzt... und als er dann von uns gegangen war, dann saß ich wieder an ihrer Seite, hielt ihre Hand und war für sie da. Und wir sprachen mit den Angehörigen. Dieser Punkt ist, vor allem seelisch, nicht immer einfach. Man muss ein Ventil finden um damit umzugehen, wenn man dieses Gefunden hat, ist es dann etwas einfacher. Und wisst ihr was das entscheidende ist? Man ist nie gänzlich allein. Auch das Gespräch mit den Angehörigen und oder den Kollegen kann einem helfen damit umzugehen.
Natürlich ist es auch nicht immer einfach mit schwierigen Patienten und Angehörigen umzugehen, es ist auch nicht immer einfach mit Ärzten zu kommunizieren & der Apotheke... Aber es gibt einen Entscheidenden Punkt, der jedem Pflegenden sehr viel gibt und aufbaut. Das Lächeln eines glücklichen Patienten, ein Händedruck, ein Dankeschön oder ein Spaß. Denn durch den häufigen Kontakt und die Gespräche lernt man sich kennen. Auf dieser Kommunikationsebene transporiert nicht nur mein Patient etwas, sondern auch ich... Mittlerweile wissen meine Patienten wenn es mir nicht gut geht & reagieren darauf. Das funktioniert automatisch, ohne ein Wort darüber... Man ist da, man stellt sich aufeinander ein & hilft sich gegenseitig. Pflege ist nicht: Ich für dich. Nein. Es ist immernoch ein wir für uns, für eine gute Zusammenarbeit zum Ziel.

Natürlich ist mein Job unterbezahlt, anstrengend - physisch und psychisch - ... natürlich haben wir Schichtarbeit und müssen teilweise kurzfristig einspringen... Natürlich ist mein Job gleichzeitig ein Handeln von Kopf, Hand und Fuß. Natürlich setze ich möglichst alle Sinne beim arbeiten ein & bin deshalb nach er Arbeit oft müde und ausgelaugt. Natürlich arbeite ich am Wochenende, früh am Morgen, spät am Abend oder nachts. Und natürlich können all diese Fakten nicht nur mich leiden lassen sondern auch meine sozialen Kontakte...  Aber all das hält mich nicht davon ab, den mir anvertrauten Menschen, ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, sie für einen Moment (nochmal) glücklich zu machen und ihnen zu helfen...


Die Bilder mit den roten Sprechblasen stammen von https://www.facebook.com/fachkraeftemangel.altenpflege?fref=ts
Die anderen beiden Bilder sind von mir gemacht worden.